Die Russentonne – Maksutov 1000mm Spiegelobjektiv MTO-11CA
Wie alles begann – TikTok, Neugier und ein Name, der hängen bleibt
Meine TikTok-Bubble besteht fast ausschließlich aus Food- und Foto-Content. Vor allem aus Beiträgen zur analogen Fotografie. Diese Mischung ist nicht ganz ungefährlich, zumindest für mein Portemonnaie. Immer wieder entdecke ich dort neue, teils abseitige Technik, die mich fasziniert. Je exotischer ein Stück Fotoausrüstung ist, desto größer wird mein Interesse, es selbst auszuprobieren oder sogar zu besitzen.
So war es auch beim Maksutov 1000mm Spiegelobjektiv MTO-11CA, besser bekannt als „Russentonne“. Ich stieß auf ein Video, in dem zwei Fotografen mit einem massiven Objektiv arbeiteten. Die Hook lautete sinngemäß: „Wie sehen Videos aus der Russentonne aus?“ Der Name allein reichte, um meine Neugier zu wecken. Nach einer kurzen Recherche wurde aus Interesse schnell Begeisterung, und von dort war der Weg zum Kauf nicht mehr weit.
Warum heißt sie „Russentonne“?
Der Spitzname „Russentonne“ entstand im deutschsprachigen Raum als volkstümliche Bezeichnung für sowjetische Spiegelobjektive mit markanter, tonnenförmiger Bauweise. Das Wort verbindet Form, Herkunft und Gewicht zu einem eingängigen Begriff. In englischen Foren spricht man gelegentlich vom „Russian Barrel Lens“, was denselben Ursprung hat.
Der Name ist dabei keineswegs abwertend, im Gegenteil: Er steht für robuste, ehrliche Technik mit einer gewissen Wucht und Ausstrahlung, die viele moderne Objektive vermissen lassen.
Historischer Kontext – Die Entstehung des Maksutov-Prinzips
Das Maksutov-System geht auf den sowjetischen Optiker Dmitri Dmitrijewitsch Maksutov zurück, der es Anfang der 1940er Jahre entwickelte. Ursprünglich für astronomische Teleskope gedacht, verband sein Konzept Spiegel und Korrekturlinse in einem kompakten Aufbau.
Später übertrugen sowjetische Ingenieure dieses Prinzip auf Fototeleskope. So entstanden die MTO-Serien, zu denen auch die 500er und 1000er „Russentonnen“ zählen. Sie sind ein Beispiel für die Faszination sowjetischer Ingenieurskunst: funktional, langlebig und kompromisslos auf ihren Zweck reduziert.
Auf der Suche nach der Russentonne – Kleinanzeigen, Geduld und Glück
Wie so oft führte mich diese Spur zu einer Plattform, zu der ich ein ambivalentes Verhältnis habe: Kleinanzeigen. Mit Geduld und etwas Glück konnte ich dort ein MTO-11CA mit 1000 mm Brennweite samt Tasche für 150 Euro finden. Der Zustand war ausgezeichnet. Keine Beschädigungen, kein Pilz und fast vollständig. Nach einer Recherche im Internet, habe ich die Russentonne oft in Begleitung von drei Filtern gesehen, die zum damaligen Lieferumfang dazugehört haben sollen. Bei meiner Russentonne war nur einer dabei. Das konnte ich aber verkraften, da ich sie mehr im Bereich Portrait-Fotografie ausprobieren wollte. Diese 1000er-Version ist seltener als die weit verbreiteten 500 mm-Modelle, die regelmäßig und deutlich günstiger angeboten werden.
Erster Eindruck – Sowjetische Ingenieurskunst mit Charakter
Als das Paket ankam, war ich überrascht: Trotz dem mir bekannten Gewicht von 2,3 kg ist das Objektiv leichter, als ich es erwartet hatte. Natürlich kein Leichtgewicht, aber angesichts seiner Größe habe ich es mir schwerer vorgestellt. Es wirkt robust, solide gebaut und typisch sowjetisch in seiner Anmutung. Funktional, schlicht, ohne überflüssige Zierde. Ein Stück Ingenieurskunst, das den Geist seiner Zeit trägt.
Technischer Hintergrund – Das Maksutov-Cassegrain-System
Das Objektiv ist ein sogenanntes Maksutov-Spiegelobjektiv, genauer: ein Maksutov-Cassegrain-System. Im Gegensatz zu klassischen Linsenobjektiven, die auf Brechung setzen, arbeitet es mit Reflexion. Ein konkaver Hauptspiegel wirft das Licht auf einen Sekundärspiegel, der es wiederum durch eine Öffnung im Hauptspiegel zum Sensor leitet. Diese Bauweise ermöglicht enorme Brennweiten bei kompakter Form, bringt aber auch Eigenheiten mit sich: Die feste Blende (meist f/10) und die Spiegelkonstruktion sorgen für das charakteristische Donut-Bokeh. Lichtkreise mit einem Loch in der Mitte. Für manche ist das ein Makel, für mich ist es das eigentliche Merkmal.
Praxiserfahrung – Der Endgegner aller Point and Shoot Erwartung
Mit einem Adapter montiert an der Sony Alpha 7R III zeigte sich schnell, dass Fokussieren hier kein Selbstläufer ist. Der Fokusring bewegt sich mit deutlichem Widerstand, und freihändig zu arbeiten ist fast unmöglich. Auf einem stabilen Stativ wird es etwas einfacher, erfordert aber weiterhin Konzentration und Geduld. Das Objektiv ist nichts für hastige Schnappschüsse, sondern verlangt Ruhe und eine gewisse körperliche Beteiligung.
Warum die Russentonne fasziniert – Donut-Bokeh statt Perfektion
Die Russentonne fasziniert mich nicht wegen ihrer Schärfe und auch nicht wegen ihrer Eignung für Astrofotografie. Es gibt unzählige Objektive, die präziser abbilden. Was mich wirklich angezogen hat, ist ihr inoffizieller Name und die Bildcharakteristik, die durch ihre Bauweise entsteht. Das auffällige Donut-Bokeh verleiht Aufnahmen eine ganz eigene Stimmung, die man in einer Zeit, in der alles perfekt und austauschbar wirkt, kaum noch findet. Ein kleiner Nachteil der mir nicht ganz so gut gefällt ist, dass mit dem Adapter auf der Sony in voller Größe fotografierte Personen, gestaucht wirken. Es ist besonders an den Beinen zu erkennen.
Im Einsatz – Digital, analog und immer fordernd
Ich habe die Russentonne sowohl digital an der Sony Alpha 7R III und V als auch analog an einer Zenit ET eingesetzt. Besonders bei der analogen Kamera war das Fokussieren eine Herausforderung. Durch den Sucher ist es schwierig, die Schärfe exakt zu setzen; viele Aufnahmen wanderten in den Ausschuss. Auf der Digitalkamera hilft das Display und die Fokuslupe, aber auch hier gelingt nicht jedes Bild. Wenn der Fokus jedoch sitzt, entsteht etwas Besonderes: ein Bild mit eigenem Rhythmus, eigenem Licht und einer Tiefe, die sich nicht simulieren lässt.
Der Look – Unverwechselbar, unperfekt und menschlich
Die Russentonne ist kein Objektiv, das technische Perfektion liefert. Ihre Bilder haben weiche Kontraste, dezente Farbstiche und diese eigenwilligen Bokeh-Ringe, die Motive fast träumerisch wirken lassen. Wo moderne Objektive oft klinisch und neutral erscheinen, hat dieses sowjetische Glas etwas unfertiges, menschliches. Es ist ein Werkzeug, das Fehler zulässt und sie zugleich in Stil verwandelt.
Fazit – Mehr als ein Objektiv
Mein Fazit: Die Russentonne ist keine Schärfe-Bestie, sondern ein Charakterobjektiv. Sie besitzt emotionalen, sammlerischen und ästhetischen Wert und sie fordert den Fotografen heraus, Geduld zu haben und Kontrolle loszulassen. Wer sich darauf einlässt, erhält Bilder mit einer unverwechselbaren Handschrift.
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